Mädchen in der digitalen Welt

Nur die Besonderheiten bei Mädchen zu beschreiben, könnte bewirken, dass darüber hinweg getäuscht wird: die schwerwiegenden generellen Gefahren der Digitalisierung treffen bei Mädchen wie bei Jungs gleichermaßen zu.

Von Uwe Büsching

Allzu gerne beginnen Artikel zur Nutzung digitaler Bildschirmmedien mit dem Spruch: Der Alltag von Kindern und Jugendlichen ist ohne Medien nicht mehr vorstellbar. Der “Ist-Zustand“ wird zur Norm erhoben, Vergleiche zu Substanzmittelgebrauch Minderjähriger drängen sich auf. Die Nutzungszeiten werden sachlich beschrieben, Chancen-/ Risikoabwägung bleibt eine Seltenheit. Die Gleichsetzung der Begriffe „digitale Bildschirmmedien“ und „Medien“ bagatellisiert die Risiken, sind doch auch z.B. Bücher Medien. Folglich werden kaum die Nachteile oder gar die Gefährdung der Nutzung digitaler Bildschirmmedien diskutiert. Die Vorteile der Digitalisierung seien unübersehbar, Gefahren seien bei nahezu jeder technologischen Innovation vorhanden. Die Skeptiker dieser Entwicklung sehen die Allmacht der Anbieter, den Skeptikern fehlen die finanziellen Ressourcen und vergleichbare Strukturen. Leider erfahren Kritiker eines unreflektierten Einsatzes digitaler Bildschirmmedien im Kindes- und Jugendalter, Forschung zu negativen Auswirkungen der Digitalisierung wird nach Kräften verhindert. Wenn dann noch Werbung, positive Berichte in Print- und Filmmedien und politische Lobpreisungen die Digitalisierung und die Nutzung digitaler Bildschirmmedien selbst im Kindesalter fördern, ist Kritik nicht nur schwierig, sie ist oft unerwünscht. Mit dem „www in der Hosentasche“, dem Mobilfone, ist alles noch dramatischer. Diese allzeitige Präsenz führte dazu, dass sich der Alltag von Kindern nicht mehr länger in »online« und »offline« aufteilen lässt. Die Probleme wachsen ständig, das Durchschnittsalter der Kinder /Jugendlichen, die ein Mobilfone besitzen, wird jedes Jahr um ein Jahr geringer. Damit sind die Kinder immer weniger für eine umsichtige Nutzung der digitalen Bildschirmmedien mit Internetzugang gerüstet, es fehlen ihnen immer mehr die unbedingt notwendigen Kompetenzen.

Kinder- und jugendgefährdende Inhalte werden nicht nur von Experten abgelehnt, selbst die Industrie hält es für die Verpflichtung der Eltern, Sicherheitssperren in die von Minderjährigen benutzten Geräte zu nutzen. Wenn Kinder gut geschult sind, ist für sie die Überwindung der Sperren kinderleicht. Allein im Internet surfen dürfen 25% der Grundschulkinder und 50% in der Sekundarstufe 1. Zusammenfassend: die Nutzungszeiten sind die Norm, die gefährdenden Inhalte sind aus Sicht vieler auch geklärt. Über die Probleme der aktiven versus passive Nutzung (Kind spielt mit Puppen, Vater schaut Sport) ist wenig gesichertes bekannt. Wie wirkt sich die Nutzung der digitalen Bildschirmmedien auf die Entwicklung der Kinder aus? Haben die Nutzungszeiten eine Relevanz? Es ist erschreckend banal: die Zeit, die sich Kinder- und Jugendliche mit digitalen Bildschirmmedien beschäftigen, fehlt ihnen für das Lernen im realen Leben, je jünger umso größer sind die Auswirkungen. Selbst die Langeweile ohne digitale Bildschirmmedien ist produktiv, Zeit zum Reden mit anderen, zum Denken, zum Nachdenken. Aber vielleicht ist das von den Herrschenden und den Medienanbietern nicht gewollt? Die Kritiker der Digitalisierung der Lebenswelten Minderjähriger nennen dieses die „Zeitverdrängungshypothese“. Sie befürchten schwerwiegende Auswirkungen auf die Entwicklung, aber beweisende Forschung will man nicht. Wo Forschung dennoch durchgeführt wurde, waren die Ergebnisse niederschmetternd. Nicht eine Teilleistung von Kindern und Jugendlichen wurde durch die Nutzung digitaler Bildschirmmedien verbessert. Wen aber interessiert dies in unserer digitalen Welt. Digitalisierung ist zukunfts- und gewinnorientiert, das Abwägen von Soll und Haben würde doch nur stören.

Zur Bearbeitung von Entwicklungsaufgaben stehen eine Fülle an Möglichkeiten verschiedenster Informations-, Beziehungs- und Identitätsmanagements in Online-Medien zur Verfügung, um je nach eigenen Wünschen und Interessen aktiv darin zu partizipieren. Zu den Anforderungen der Kindheit und Jugend gehört, sich ein eigenes Bild von der Welt (Bildschirmmedien) zu machen. Im Hinblick auf die Handy- und Smartphone-Nutzung überwiegen bei Kindern Telefonate mit den Eltern und der Austausch von Nachrichten mit Freunden: Suchmaschinen (74%Prozent), WhatsApp (57%) YouTube (50%); 30% dieser Altersgruppe geben an, Facebook zu nutzen.

Jugendliche beschäftigen sich online größtenteils mit kommunikativen Aktivitäten (41 Prozent), es folgen Aktivitäten, die sich den Bereichen Unterhaltung (Musik, Videos, Bilder: 29 Prozent), Spiele (19 Prozent) und Information (10 Prozent) zuordnen lassen. Während die Anteile an Kommunikation und Unterhaltung mit zunehmendem Alter weitgehend gleich bleiben, nimmt die Bedeutung der Spiele ab und die von Informationsangeboten zu. Der Anteil der Kommunikation ist bei Mädchen zwischen zwölf und neunzehn Jahren deutlich höher (49%) als bei Jungen, die wiederum sehr viel mehr Zeit mit Spielen verbringen (28).

WhatsApp, Instagram und Snapchat sind die am häufigsten genutzten Social Media Apps der Mädchen. Ganz anders bei den gleichaltrigen Jungs: Bei ihnen ist YouTube nach WhatsApp die am häufigsten genutzte App. Laut „Bravo Mediennutzungsstudie informiert sich die Hälfte der Mädchen in den sozialen Medien (59 bzw. 65 Prozent) und in Zeitschriften (57 bzw. 52 Prozent) über Mode, Beauty, Ernährung sowie Fitness- und Sporttipps. Das Internet nutzt die große Mehrheit der Mädchen und Jungen (70 bzw. 66 Prozent) vor allem für Themen rund um Schule, Ausbildung und Beruf.

Medien sind aber auch der Ausgang von Einschüchterung, Erniedrigung, Cyber-Mobbing, Gewalt und Sexismus, Facebook, Twitter, Snapchat und Instagram bieten eben nicht nur Informationen. Nach wissenschaftlichen Daten ist die psychische Gesundheit von Mädchen stärker durch die Sozialen Netzwerke gefährdet als die der Jungen, eben weil sie diese Medien intensiver nutzen.7,5 Prozent der 14-jährigen Mädchen waren bereits mit Cyber-Mobbing konfrontiert, gegenüber 4,3 Prozent bei den gleichaltrigen Jungen.

Abkapselung, Schlafstörungen, Verlust von Selbstvertrauen, Ablehnung des eigenen Körpers sind die negativen Folgen dieser Form von Gewalt, die vor allem Frauen trifft. Häufig verdichten sich diese Symptome zur regelrechten Depression. Neben vielen offenen Fragen ist gesichert: Die exzessive Nutzung Sozialer Netzwerke erhöht die Risiken: wer mehr nutz, Mädchen mehr als doppelt so häufig wie Jungs, umso schwerwiegender werden auch die Folgen für die psychische Gesundheit: 40% der Mädchen, die mehr als fünf Stunden dort verbringen, zeigen Symptome von Depression. Bei den Jungen sind es 15%.

Nach Experten trägt die sexistische Natur der Sozialen Netzwerke wesentlich zur Isolation der betroffenen Mädchen bei, Männlichkeit wird überbewertet. Mädchen sind – wenn sie sich ihrer Identität nicht sicher sind – auch im Internet häufiger sexistischen und sexuellen Angriffen ausgesetzt als Jungs. Verstärkend wirkt ein idealisiertes Frauenbild in Netzwerken: Je perfekter das Sozial- und Liebesleben der anderen wirkt, umso unzulänglicher und minderwertiger fühlen die Follower. Kann man dem Teufelskreis entkommen? Oder ist generelle Zurückhaltung zu empfehlen? Solange es ein globales Problem ist und es derzeit keine Studien gibt ist Meiden angesagt.

Von Digitaler Gewalt fühlen sich international 58 % aller jüngeren Nutzerinnen in social Media bedroht, mehr als jedes zweite Mädchen fühlt sich unwohl! In Deutschland ist die Zahl noch höher, hier machen 2/3 schlechte und übergriffige Erfahrung en. Die Belästigungsformen zeigen sind, wie im realen Leben, vielfältigen: Beschimpfungen und Beleidigungen, sexuelle Belästigungen, persönliche Demütigungen und abwertende Aussagen zum äußeren Erscheinungsbild. Auch hier wird verabscheuungswürdiger Alltag zur Normalität. Bei anderen sichtbare Delikte senken auch die Hemmschwelle von Tätern, da sie zeigen, dass das Risiko einer Bestrafung sehr gering ist. Laut Studien haben 24% der Betroffenen körperlich spürbare Angst, 42% leiden unter einem verminderten Selbstwertgefühl, ebenfalls 42% fühlen sich gestresst.

Digitalen sexuellen Übergriffen auf Kinder – wie Cybergrooming gibt es leider schon bei Kindern. Wie kann es sein, dass Mädchen und junge Frauen nicht besser geschützt sind. Weil Politik in vollem Wissen um die Probleme die Verantwortung den Plattformbetreiber überlässt. Diese Betreiber aber leben davon, dass möglichst viele möglichst lange online sind und Werbung erhalten. Hier ist konsequenter Jugendschutz gefragt. Bis zu striktem Jugendschutz müssen Eltern ringend noch umsichtiger werden. Bei dem Umgang mit digitalen Bildschirmmedien ist es wie mit dem Swimming-Pool: oh, wie toll, bis das Kind darin ertrunken ist

Diese Belästigungen trifft man auf allen Plattformen an. Mädchen und junge Frauen werden überall bedroht, am häufigsten auf facebook (39%). D.h., wenn ein Programm eine onlinebasierte Kommunikation oder Interaktion ermöglicht besteht auch das Risiko von verbalen sexuellen Belästigungen bis zum unerwünschten Zusenden pornografischer Medien. Und es gibt so gut wie keine zuverlässigen Meldemechanismen. In eher seltenen Fällen wissen viele gar nicht, dass sie sich strafbar machen.

Das Aussehen auf Fotos im Netz muss perfekt sein. Viele Mädchen und junge Frauen sehen sich zur Manipulation ihres Aussehens gezwungen. Sie haben bei „Makeln“ Angst vor Cybermobbing. Es ist offensichtlich gefährlich für das Selbstbewusstsein, sich nicht natürlich in den sozialen Medien zu zeigen. Mehr als die Hälfte benutzt regelmäßig Filter und Apps, um die Fotos fürs Web zu bearbeiten. Wollen wirklich dass Kinder und Jugendliche glauben, ihr Selbstwert hänge davon ab, ob die anonyme Masse sie „likeable“ findet, statt innere Werte sprechen zu lassen?

Der Post von Fotos in soziale Medien ist gefährlich, schlimmstenfalls Eltern, landen Babyfotos auf Pädophilien-Website. Nutzer*innen, also auch schon Kinder, wollen in den Sozialen Medien Anerkennung in Form von Followerzahlen, Likes oder auch Kommentaren gewinnen, in dem sie genau die Medien posten, die diese Aufmerksamkeit generieren. Digitaler Narzissmus sei, laut Cyberkriminologen, auch der Grund, warum manche Nutzer*innen immer wieder bereit sind hohe Risiken bei Selfies einzugehen. Viele beurteilen ihre eigene Beliebtheit in den sozialen Netzwerken, statt diese in Freundeskreisen zu klären und sie kennen die Gefahren. Darüber müssen wir mit Kindern ins Gespräch kommen. Und wir müssen den Kindern Alternativen zu den sozialen Medien bieten. Noch schlimmer als eigene Fotos sind Kinderfotos im Netz und niemand denkt an die Folgen. Sagt Sie es den Müttern: Kinderbilder gehören nicht ins Netz!